Ü30: Früher waren wir mal politisch (organisiert)
Groß war das Interesse zu den Hintergründen und zum Ablauf der Veranstaltungen, auch über Leipzig hinaus, mit diesem Text soll auf die Nachfragen geantwortet werden. In den letzten Jahren machte sich Unverständnis und Unmut über das vermehrte Aufkommen autoritärer kommunistischen Gruppen (K-Gruppen) breit, welches meist jedoch nicht über persönliche oder Kneipentischgespräche hinaus kundgetan wurde. Unterschiedliche Thesen für die vermeintliche „Attraktivität“ dieser K-Gruppen (von manchen auch als „Rotgruppen“ bezeichnet), war der Mangel an alternativen Angeboten für junge Linke, verpasster Wissenstransfer oder gar ein Generationswechsel mit mangelnden Austausch untereinander.
Es gibt natürlich noch weitere und andere Thesen für das vermehrte Aufkommen dieser Gruppen in Leipzig, aber die Idee der Ü30-Veranstaltungen entsprang aus einem Zusammenhang, der sich eigentlich damit beschäftigte, den vermeintlichen Mangel an Angeboten für junge Linke zu bearbeiten. Dieser Zusammenhang konnte sich letztendlich nicht auf eine gemeinsame Herangehensweise bezüglich weiteren Angeboten für jüngere Menschen verständigen und wie so oft mangelte es an den berühmten „Kapazitäten“.
Gegen die These, dass es an Angeboten für junge Linke mangelt sprach zudem die Tatsache, dass es mit dem Offenen Antifa Treffen, der Skillsharing-Reihe und den vielen neuen politischen Zusammenhängen der letzten Jahre, die nicht den K-Gruppen zu zurechnen sind, Angebote für jüngere Linke existieren. Daraus ergab sich die Überlegung, ob es vielleicht eher an Angeboten und Räumen mangelt für jene, die früher mal organisiert waren oder es gerne wieder wären, aber nicht mehr unter oder um die 20 Jahre alt sind. Aus dieser Runde entstand daher der Gedanke, dass es nicht an Angeboten für jüngere Linke mangelt, sondern auch an Möglichkeiten für jene, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr in politischen Zusammenhängen organisiert sind oder es bisher nicht waren und ein Alter erreicht haben, bei dem es oft zu skeptischen Blicken kommt, wenn sie die ältesten im Raum sind.
Die Idee war also eine Reorganisierung für jene, die bereits Erfahrungen in linken politischen Kontexten gesammelt haben und vielleicht Anschluss verloren haben und auf der Suche nach erneutem sind, verbunden mit der Hoffnung, dass bestimmte Diskussionen nicht erst geführt werden müssen, weil es schon eine Grundlage gibt. Das Ziel der Ü30- Veranstaltungen war und ist keine Situationsanalyse der Leipziger Verhältnisse oder eine große Debatte darum, wieso und weshalb unterschiedlichste (individuelle) Gründe zum Ende der eigenen politischen Aktivitäten in klassischen linken Strukturen führten, noch was sich alles ändern sollte um „dabei zu bleiben“, wie es schon versucht wurde zu diskutieren. Ganz praktisch ging es um das Zusammenkommen und vernetzen, also eines Neustart für die Generation Ü30.
In Vorbereitung der ersten Veranstaltung befragten wir Menschen nach ihren persönlichen Gründen heute nicht mehr so politisch organisiert zu sein, wie sie es einmal waren. Die Antworten haben wir eingesprochen und bei der Veranstaltung abgespielt, aber auch genutzt um uns eine Struktur zu überlegen, wie wir den ersten Abend gestalten wollten. Die Veranstaltung sollte nicht länger als zwei Stunden gehen, es sollte eine halbe Stunde Einführung ins Thema geben, Auflockerung der Stimmung, dann eine Stunde in kleineren Gruppen und am Ende eine halbe Stunde um noch einmal gemeinsam zusammen zu kommen und zu besprechen, was in den anderen Gruppen diskutiert wurde. So war die Vorüberlegung.
Der erste Abend
Die Resonanz war groß und der Raum voll. Am Eingang hing eine Ausschlussklausel für Cops, VS, Zuträger*innen für Behörden, Journalist*innen und für jene, die aus politischen Gründen (“das private ist politisch”) aus ihren politischen Gruppen und Zusammenhängen geflogen sind.
Eingeführt wurde der Abend mit den oben beschriebenen Überlegungen und wie es dazu gekommen ist. Dann wurden die eingesprochenen Kommentare von den Menschen, die wir vorher befragt hatten abgespielt. Zur weiteren Auflockerung der Runde wurden thematisch passende Antworten eines Spiels „129 Antifas haben wir gefragt, nennen sie etwas, dass…“ von einer Soli-Party von vor ein paar Jahren vorgestellt. Dann sollte es in die unterschiedlichen Gruppen gehen, folgende standen zur Auswahl:
– In der ersten Gruppe wurden politische Zusammenhänge vorgestellt oder stellten sich selbst vor, die offen für neue Mitstreiter*innen sind und von der Zusammensetzung nicht primär aus Menschen unter oder um die 20 Jahre bestehen. Hier ging es also darum den Einstieg bei bestehenden Strukturen zu ermöglichen und ein Einblick dafür zu bekommen, was diese Gruppen machen und was es für Möglichkeiten gibt.
– Eine weitere Gruppe sollte die Möglichkeit erörtern, eine neuen politischen Zusammenhang zu begründen, falls eine gewisse Anzahl an Menschen im Raum ist, die sich vielleicht (noch) kennt und bis zu dem Abend gar nicht wusste, dass jene anderen im Raum auch auf der Suche sind oder motiviert wieder etwas zu organisieren.
– Die nächste Gruppe war für jene, die zwar interessiert sind und motiviert, aber eher lockere und offene Formate und Angebote brauchen. Die wöchentliche Treffen vielleicht nicht schaffen oder eher sehr langfristig planen müssen, also eine Veranstaltung, Demo, Kampagne oder auch ein Text eher etwas ist, was in viel längeren Zeiträumen organisiert und geplant werden muss.
– Eine weitere Gruppe sollte sich mit der Frage beschäftigen, was es konkret braucht für Linke, die aufgrund von Familie und Beruf politische Zusammenhänge verlassen haben und welche Angebote und Konzepte es braucht, damit mögliche Hürden und Hindernisse abgebaut werden können.
– Eine andere Runde sollte ermöglicht werden, falls Menschen mit gänzlich anderen Ideen und Vorstellungen zum Abend gekommen sind. Sich unter der Veranstaltung etwas gänzlich anderes vorgestellt haben. Hier hätte der Raum bestanden eine gänzlich andere Veranstaltung zu planen und zu besprechen.
Für den Fall, dass sich Menschen von keinerlei dieser Gruppen/Runden angesprochen fühlten, wurden allgemeine Fragen vorher formuliert, die mitgegeben wurden und diskutiert werden konnten.
Im Anschluss der Vorstellung dieser Gruppen entwickelte sich eine kurze Diskussion. Einige Stimmen fragten nach der Analyse der Situation in Leipzig oder meinten, dass es auch Gründe fürs Ende mancher politischer Gruppen oder Aktivitäten gibt. Aus der kurzen Diskussion entsprang der Vorschlag, dass sich dazu gerne eine eigene Runde zusammen finden kann, die das diskutieren und besprechen kann. Das Angebot wurde letztendlich nicht wahrgenommen, so gab es an diesem Abend drei Gruppen, die sich zum diskutieren zusammen gefunden haben.
In der ersten Gruppe stellten sich die Vertreter*innen und die Arbeit ihrer Zusammenhänge vor, beantworteten Fragen und diskutierten abschließend noch eigene Erfahrungen der politischen Aktivitäten im „Alter“. Die anderen beiden Runden orientierten sich zwar an einigen Fragen, die vorher mitgegeben wurden, diskutierten aber sonst recht intensiv zum Thema. In dem einem Zusammenhang war der Wunsch nach Vernetzung sehr groß. Vor allem das Thema auf Demonstrationen in der Stadt mit die ältesten zu sein und im bekannten und Freund*innenkreis kaum oder keine Menschen zu haben, mit denen sie zusammen auf eine Demonstration oder Kundgebung gehen können. Alleine unterwegs zu sein, kann zu negativen Erfahrungen führen. Hier gab es am Ende der Veranstaltung eine Runde, die sich genau dazu besprochen hatte und vernetzte.
Die folgenden Ü30-Treffen
Nach dem ersten Ü30 Treffen im April, gab es sechs weitere, das letzte im November. Waren die nachfolgenden Termine noch recht gut besucht, fiel in den Sommermonaten die Beteiligung ziemlich mau aus. Einige Vernetzungen untereinander schienen wieder eingeschlafen zu sein. Jedoch hat sich ein eigener Zusammenhang aus den Ü30 Veranstaltungen konstituiert unter dem Arbeitstitel “Florida-Gruppe”. Jener Zusammenhang berät und plant eigene Aktivitäten für die Zukunft und ist bisher immer auf allen Ü30-Treffen mit ansprechbaren Personen vertreten.
Da außer der entstanden “Florida-Gruppe” immer wieder neue Menschen zu den Ü30-Treffen kommen und selten jene die schon mal da waren, ist eine kontinuierliche Arbeit an konkreten Themen oder möglichen Projekten kaum möglich. Weitere Ü30-treffen sind angedacht. Wie es jedoch letztendlich weiter geht, liegt auch an der Ü30-Bubble und inwieweit diese sich wieder reorganisieren möchte und kann.